„Es gibt zwei Arten sein Leben zu leben: entweder so, als wäre nichts ein Wunder, oder so, als wäre alles eines.“
Albert Einstein
Mohiniyattam ist ein Tempeltanz aus Kerala in Indien. Es ist der Tanz der bezaubernden Frau, nach einem Mythos, in dem Gott Vishnu in seiner weiblichen Form als bezaubernde und wunderschöne Mohini erscheint. Die Tanzform zeichnet sich durch zarte und grazile Bewegungen aus, die fließend ineinander übergehen. Ein Sprichwort besagt, dass sich die Tänzerin so sanft wie die Reispflanze in der sanften Brise des Windes bewegt. Mohiniyattam ist damit vollkommen lasya, ein Begriff aus dem Sanskrit, der ins Deutsche mit „sanft“ übersetzt werden kann. Die über die Jahrhunderte gehütete Tanzkunst zeichnet sich durch ein hochentwickeltes Abhinaya aus, dem Ausdruck von hauptsächlich Augen und Gesicht. Gemeinsam mit den Mudras, den Handgesten, werden in den Choreografien über den Ausdruck die Geschichten aus der hinduistischen Mythologie erzählt. Ein weiterer Vers lautet daher, dass das Gesicht der Tänzerin so strahlend sein soll wie die aufgehende Sonne. Bereits in verschiedenen Adavus des Mohiniyattam, den grundlegenden Tanzfiguren, werden im Vergleich zu anderen klassisch indischen Tänzen unterschiedliche Gefühle ausgedrückt.
Erkennbar ist der Tanz an den weißen Rockkostümen mit der goldenen Borte und dem goldenen Schmuck. Wie der Tanz sind auch Kostüm, Schmuck und Maske traditionell genau festgelegt. Die Glöckchen, die um die Fußgelenke getragen werden, sind ein weiteres Merkmal des indischen Tanzes. Füße und Glöckchen wirken durch ihre rhythmischen Bewegungen wie ein Musikinstrument, das im Tanz zur Melodie spielt. Ein einzigartiges Instrument der südindischen karnatischen Musik, zu der Mohiniyattam getanzt wird, ist die Idakka-Trommel, die während des Spielens in der Tonhöhe variiert werden kann. Sie stammt aus der so genannten Sopana-Tradition, der Tradition der Tempelmusiker in Kerala, die in Begleitung ihrer Trommel die Mantren im Heiligtum oder zu Beginn einer Prozession singen.
Mohiniyattam wurde einst ausschließlich von Devadasis, den Tempeltänzerinnen, getanzt. Frühe archäologische Funde dieser heiligen Kunstform reichen auf das 11. Jahrhundert zurück. Eine Blütezeit außerhalb der Tempel erlebte der Tanz im 19. Jahrhundert unter Swathi Thirunal, dem Maharaja des Königreichs von Travancore, der Mohiniyattam als Kunstform an seinen Hof holte. Als brillanter Komponist schrieb er selbst zahlreiche Stücke für den Tanz.
Anfang des 20. Jahrhunderts war das Wissen um die hingebungsvolle Tanztradition fast verloren. Sie wurde ab den 30er Jahren von der berühmten Tänzerin und Dichterin Kalyani Kuttyamma an der Kerala Kalamandalam, der Institution für darstellende Künste in Kerala, gemeinsam mit dem Gründer und damaligen Leiter der Schule, Vallathol Narayana Menon, wiederbelebt und als angesehene Bühnenkunst über die Landesgrenzen hinaus etabliert. Kalyani Kuttyamma trug erstmalig das komplette Wissen um Mohiniyattam zusammen und strukturierte die Adavus, belebte alte Choreografien und entwickelte mit eigens komponierten und choreografierten Stücken ein vollständiges Repertoire. Mohiniyattam ist heute auf kulturellen Veranstaltungen in ganz Kerala, Indien und im Ausland präsent. Ihre einstige Schülerin Shyamala Surendran, Gründerin und Leiterin der Dharani School of Performing Arts in Cochin, trägt gemeinsam mit den Töchtern ihres Gurus, Kala Vijayan und Sreedevi Rajan, das wertvolle Erbe weiter. Als herausragende Künstlerin, Choreografin und Lehrerin setzt sie sich für den weiteren Aufbau und die Verbreitung dieser faszinierenden Tanzform und den Erhalt hoher Standards ein.